GemeindeEntwicklung in
El Tanque
Aufbruch für Leben und Hoffnung
Im Oktober 1998 hatten die Bauernfamilien, die heute im Dorf El Tanque leben, nach einem katastrophalen Erdrutsch am Vulkan Casitas infolge des Hurrikans Mitch viele ihrer Angehörigen, ihre Dörfer und ihre Felder verloren. Nach einer von ihnen organisierten Landbesetzung haben sie mit Unterstützung von medico international und der Initiative Eine Welt Köngen sowie staatlichen deutschen Projektmitteln des BMZ ein neues Dorf errichtet.
Von der Landstraße von Managua nach Leon zweigt die ausgefahrene Erdpiste ab, die als Zufahrtsweg zu den einfachen Häusern von El Tanque führt, die vor zwanzig Jahren errichtet wurden. Die Einwohnerzahl hat sich verdoppelt. Traktoren, die damals aus Projektmitteln erworben wurden, sind weiterhin bei der Landwirtschaftskooperative im Einsatz. Die Kooperative „Aufbruch für Leben und Hoffnung“ COOPCOVE produziert inzwischen auf über 40 Hektar eigenständig Erdnüsse, Mais, Kürbisse und vieles andere mehr.
Über lange Jahre hat die Initiative Eine Welt Köngen die Familien in El Tanque bei der Überwindung des Katastrophentraumas und beim Aufbau ihre Gemeinde unterstützt (Details hierzu siehe unter „Hintergrundinformation“). Im Jahr 2016 wurden wir von Cristobal Fletes Montes, dem Vorsitzenden der COOPCOVE, um Unterstützung beim Wiederaufbau des baufälligen Gemeindeversammlungszentrums gebeten. Durch unsere finanzielle Hilfe konnte dann im Oktober 2016 im neu erstellten Versammlungszentrum die gemeinsame Gedenkfeier zur Mitch-Katastrophe abgehalten werden.
Ein bemerkenswertes Projekt in der Gemeinde El Tanque
Nachfolgend einige Auszüge aus der medico-Dokumentation “Nicaragua – Ein bemerkenswertes Projekt in der Gemeinde El Tanque – zehn Jahre nach dem Hurrikan Mitch” mit einer Vorbemerkung der Initiative Eine Welt Köngen.
Quelle: medico (https://www.medico.de/download/10-anos-mitch.pdf)
Köngen, im Oktober 2009
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir erinnern uns noch genau an diesen Oktober im Jahr 1998: Am 23.10.1998 erhielten wir gegen 4 Uhr morgens einen Anruf aus Managua, Nicaragua. Leonel Arguello, der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation CEPS informierte uns über die furchtbaren Auswirkungen des Hurrikan Mitch. Die zerstörerische Kraft des Wirbelsturms sei schlimmer als das Erdbeben, das im Jahr 1972 die Hauptstadt Managua traf. Das ganze Land sei betroffen, alleine in der Stadt Leon hätten schon 20.000 Menschen ihre Häuser verlassen. Wir sollten dringendst in Deutschland die Öffentlichkeit informieren.
Ein bis zwei Wochen später wurde dann das ganze Ausmaß der durch den Hurrikan Mitch ausgelösten Überschwemmungskatastrophe sichtbar: Bis zum 2.11.1998 waren schon 4.000 Todesopfer zu beklagen, 420.000 Menschen waren evakuiert und viele Tausende noch vermisst. 70% der Straßen waren zerstört, die Wasser- und Stromversorgung zusammengebrochen. Nun drohten Epidemien wie Dengue-Fieber und Cholera. Am schlimmsten war die Gemeinde Posoltega im Departement Chinandega betroffen. Durch einen Erdrutsch am Samstag, den 31.10.1998 am Vulkan Casita wurden 7 Gemeinden unter meterhohen Schlammmassen verschüttet, 864 Tote waren bereits geborgen, weitere 1500 Menschen noch unter dem Schlamm begraben – sie konnten nie geborgen werden.
Dies war die Ausgangssituation für die Menschen am Vulkan Casita, um die sich in der Folgezeit die deutsche Nichtregierungsorganisation medico international und die Initiative Eine Welt Köngen e.V. (Iniciativa Un Mundo de Koengen) kümmerten. Heute – zehn Jahre danach – können wir auf eine sehr erfolgreiche Aufbauarbeit zurückblicken, die auch mit Hilfe Ihrer Spenden möglich wurde.
Aus diesem Anlass wurde diese Erinnerungsbroschüre von medico international in Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft in Nicaragua und der Initiative Eine Welt Köngen e.V. aufgelegt. Sie zeigt die Entwicklung in El Tanque, einer neu gegründeten Gemeinde am Fuß des Vulkans Casita, in der die Überlebenden der Katastrophe einen Neuanfang wagten. Berichtet wird darin über den Bau von Notunterkünften aus Plastikplanen Ende 1998 / Anfang 1999, über den Bau fester Häuser in 1999-2000, den von der Initiative Eine Welt Köngen e.V. finanzierten Schulbau in 2001 und den langen Kampf um die Landtitel, der aus Landbesetzern endlich Landbesitzer machte. Im Mittelpunkt stehen auch die wichtigen Themen des Gemeindeaufbaus.
Die überwiegend von uns finanzierte psychosoziale Betreuung war für die traumatisierten Überlebenden über mehrere Jahre hinweg notwendig, denn fast alle Bewohner hatten Familienmitglieder bei der Katastrophe verloren. Wichtig für den weiteren Gemeindeaufbau war natürlich auch die Alphabetisierung (über 60% der Bewohner konnten weder lesen, schreiben noch rechnen), die in der von uns finanziell geförderten Bauern-Volkshoch-schule vorangebracht wurde. Hinzu kam die Gründung der Kooperative COOPCOVE, die die gemeinsame Nutzung von Maschinen, den gemeinsamen Saatgutkauf und die gemeinsame Vermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ermöglichte. Nicht zu vergessen der Kleinkreditfonds, der auch die Saatgutinvestition in andere Produkte ermöglichte, die höhere Erlöse brachten. Von vielem wäre noch zu berichten, auch von Rückschlägen, die immer wieder verarbeitet werden mussten. Aber jetzt – 10 Jahre nach dem Hurrikan Mitch – steht diese Gemeinde auf eigenen Füßen.
Das gibt uns allen Mut für den weiteren Aufbau von La Palmerita – unserem derzeit wichtigsten Projekt in Nicaragua. Auch da wird eine Gemeinde neu aufgebaut unter noch schwierigeren Bedingungen, da die Bewohner sich nicht kennen, keine gemeinsam erlebte Vergangenheit haben. Sie waren früher verstreut im Norden Nicaraguas als Tagelöhner im Kaffeeanbau tätig. Durch den Preisverfall im internationalen Kaffeehandel wurden sie buchstäblich „auf die Straße gesetzt“. Für sie ist der Aufbau einer Dorfgemeinschaft eine zusätzliche Herausforderung. Obendrein sind sie mit Produktionszyklen und damit verbundenen Planungsmaßnahmen wie Aussaat, Pflege, Ernte und Vermarktung ganz neu konfrontiert.
Der große Erfolg in El Tanque gibt uns Hoffnung, dass wir in ein paar Jahren auch über ein funktionierendes Gemeinwesen in La Palmerita berichten können.
Wir haben nachfolgend einige Auszüge aus den Texten ins Deutsche übersetzt, damit sich Ihnen der Inhalt der Broschüre auch ohne Spanischkenntnisse beim Betrachten der abgebildeten Dokumente und Bilder erschließt.
Seien Sie herzlich gegrüßt, besonders auch im Namen der Freundinnen und Freunde in Nicaragua.
Initiative Eine Welt Köngen e.V.
Der Vorstand
Reinhold Hummel, Reinhard Lenk, Edith Tremmel
Nicaragua – Ein bemerkenswertes Projekt in der Gemeinde El Tanque zehn Jahre nach dem Hurrikan Mitch
Vorwort von Dieter Müller und Walter Schütz, Projektkoordinatoren von medico international in Zentralamerika (siehe Seite 4)
10 Jahre nach dem Hurrikan Mitch
Im Oktober 1998, vor 10 Jahren, überquerte der Hurrikan Mitch zerstörerisch die Landenge Mittelamerikas und hinterließ – vor allem in Honduras und Nicaragua – Tausende Tote und Verletzte, sowie Familien, die ihren ganzen Besitz verloren ha-ben. In Nicaragua hat die Katastrophe am stärksten die Bevölkerung um den Vulkan Casita getroffen. Die sintflutartigen Regenfälle, die der Hurrikan mit sich brach-te, verursachten einen kilometerbreiten Abbruch am Vulkan, und Massen von Erde, Felsen und Schlamm haben mehr als 2500 Menschen unter sich begraben.
Einige wenige der Verschütteten konnten unter größten Anstrengungen befreit wer-den, die meisten schwer verletzt. Die Überlebenden sind in Schulen und kleine Läden der Gemeinde Posoltega geflüchtet. Zwei Monate später hat eine Gruppe von ihnen die Ländereien des staatlichen Landguts El Tanque besetzt, die schließlich 167 überlebenden Familien als Landtitel zugesprochen wurden, letztendlich vor allem aufgrund des internationalen Drucks.
medico international, eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Deutschland und einem Büro für Zentralamerika in Managua, begann die Zusammenarbeit mit der Gruppe der Überlebenden, die bis dahin in Notunterkünften lebten. Zuerst stellte medico international das Überleben der neuen Bevölkerung von El Tanque sicher, indem sie Dinge des täglichen Bedarfs bereitstellte: Nahrungsmittel, Medikamente, Wasser, Plastikfolien für die Notunterkünfte, Mobiliar, Bettzeug, Macheten, Hand-schuhe, Hämmer und Latrinen. Danach wurde während einer zweijährigen Aufbauphase die Infrastruktur des neuen Dorfes aufgebaut. Zeitgleich wurde mit der land-wirtschaftlichen Erzeugung von Lebensmitteln begonnen und das auf mehrere Jah-re angelegte Projekt zur ganzheitlichen (integralen) Entwicklung fortgesetzt. Nun möchten wir unseren solidarischen Freunden berichten, die diesen Prozess unterstützt und begleitet haben, und interessierten Menschen dieses Meisterstück ver-mitteln, wie eine äußerst schwierige Notlage in eine nachhaltige Entwicklung überführt werden konnte.
Für die Vorortarbeit wurde ein Team gebildet aus Vertretern von medico international in Managua und Mitarbeiterinnen und Angestellten der Frauenbewegung Maria Elena Cuadra (MEC) in León, die eine ausgezeichnete psychosoziale Arbeit mit den traumatisierten Überlebenden gemacht haben; bei Regen und Sonne, im Schlamm und im Staub, in Augenblicken der Depression und der Freude, in Krisen und wachsendem Selbstwertgefühl arbeiteten alle gemeinsam miteinander.
Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat dieses Programm von 1999 bis 2004 mit beachtlichen finanziellen Mitteln unterstützt, aber auch die deutsche Botschaft und das (nicaraguanische) Ministerium für (internationale) Zusammenarbeit unterstützten die Bewohner kräftig beim Kampf für die Landeigentumstitel des Landguts El Tanque.
Eine Gemeinschaft ist viel mehr als Infrastruktur…..
Die neue Gemeinschaft der Überlebenden des Erdrutsches am Vulkan Casita kann man als ein vielschichtiges soziales System sehen. Eingriffe in ein solches System können das Gleichgewicht verändern oder sogar zerstören, wenn die Wirkungszusammenhänge nicht berücksichtigt werden. Viele Aufbauprogramme von neuen Siedlungen nach der Hurrikan Mitch-Katastrophe missglückten, da ihr Denk- und Planansatz zeitlich und inhaltlich in Relation zu den Ursachen und Wirkungen zu eng angelegt war.
Es ist ein Irrtum anzunehmen, man könnte eine neue Gemeinschaft gründen, indem man nur Häuser und eine Schule baut. Eine Gemeinschaft ist viel mehr als Infrastruktur, deshalb organisierten sie in El Tanque auch eine genossenschaftliche Kreditbank, die den Menschen in El Tanque Startkapital bereitstellte, (landwirtschaftliche) Maschinen und ein Lagergebäude. Aber dies war nicht genug. Es war auch dringend nötig, ein Bildungsprogramm für Erwachsene zu schaffen, damit sie auf Augenhöhe mit ihren Geschäftspartnern und Auftraggebern handeln und ver-handeln können.
Die Direktorin des ökumenischen Zentrums „Centro Antonio Valdivieso“ Marta Cabrera Cruz empfahl sehr früh, die vom chilenischen Volkswirt und Träger des alternativen Nobelpreises Manfred A. Max-Neef definierten neuen „Grundbedürfnisse der menschlichen Entwicklungsstufen“ gleichsam als grundlegende Zielsetzungen für die Gemeinschaftsentwicklung anzuwenden. Max-Neef beschreibt, wie sich die grundlegenden Bedürfnisse der Mitglieder einer Gemeinschaft entwickeln: Verpflegung, Schutz, Achtung, Verständnis, Teilnahme, Muse, Kultur, Identität und Freiheit.
Inzwischen ist ein Prozess in Gang gekommen hin zu einer selbständigen Gemein-schaft, die ohne Hilfe von außen auskommt, mit einer eigenständigen Kultur, einer neuen Identität und einer Struktur, die sich, entsprechend den Bedürfnissen, ständig erneuert. Heute gibt es Anzeichen dafür, dass El Tanque in diese Richtung geht. Seit zwei Jahren exportiert die Genossenschaft „Vida y Esperanza“ (Leben und Hoffnung) Sojaprodukte an seine Handelspartner in El Salvador. Einige Mit-glieder der Genossenschaft bauen Trauben an. Mehr als 160 Schüler besuchen die weiterführenden Schulen, 16 von ihnen haben schon erfolgreich ihren Abschluss gemacht und zwei studieren an der Universität; viele dieser Entwicklungsschritte waren in den Komponenten des Projekts nicht vorhersehbar.
Wir möchten allen Menschen danken, die auf irgendeine Weise an diesem Projekt beteiligt waren, wie den sehr vielen Privatspendern und -spenderinnen aus Deutschland, der Familie Hoppe-Ritter, Reinhold Hummel mit der Initiative Eine Welt Köngen, der Stadtverwaltung von Posoltega, den deutschen Abgeordneten und vor allem dem ehemaligen deutschen Botschafter Dr. Hans Petermann und Hans Wollny, dem Vorsitzenden und Direktor der Genossenschaft, außerdem vielen Beschäftigten der Botschaft und dem BMZ in Deutschland, der Psychologin Josefina Ulloa, Direktorin von MEC Leon, und ihren Kolleginnen und allen Mitarbeitern von medico international.
Besonderer Dank gilt vor allem den Mitgliedern der Gemeinde El Tanque, die uns halfen, viele Dinge zu lernen und uns ermöglichten, ein so erfolgreiches Projekt durchzuführen.
gezeichnet: Dieter Müller u. Walter Schütz, medico
Psychosoziale Betreuung (s. S. 22)
Einer der zwei Pfeiler des Projektes, der viel zur Gesundung der Menschen beige-tragen hat, war die psychosoziale Betreuung. Diese Arbeit übernahm die Frauenbewegung MEC León, die dazu in die Gemeinde kam und die auch im Nothilfekomitee des Bürgermeisteramtes mitarbeitete.
Um die Situation und die Bedürfnisse der Leute zu verstehen, machte MEC zuerst eine Erhebung in mehreren Gemeindeteilen, und danach begleiteten sie die Einwohner von El Tanque, um sie aus ihrem Trauma herausholen zu können.
Margarita Espinosa, Psychologin und Verantwortliche der psychosozialen Arbeit bei MEC, erzählte, warum es so wichtig war, diese Betreuung anzubieten und wie sie es machte: „Die Leute waren so traumatisiert, dass sie, sobald sie Regen oder Donner hörten, gebannt auf den Vulkan starrten. Einige fingen an zu weinen oder schlossen sich in ihre Häuser ein. Sie erlebten die Schrecken erneut. Andere hatten keine Kraft und keinen Lebenswillen durch ihre erlittenen Verluste oder sie verharrten in Angst, Mutlosigkeit, Traurigkeit und hatten Kopf- und Rückenschmerzen. Sie fühlten sich erschöpft durch ihren Kummer. Es gab Leute mit Depressionen, die mit niemandem reden wollten … Die, die viele Familienangehörige verloren hatten, waren auch diejenigen, die nicht mit uns reden wollten, weil der Schmerz der Erinnerung sie überwältigte. Mit den Männern war es besonders schwierig zu arbeiten, weil sie keine Gefühle zeigen wollten; man hatte sie gelehrt „Männer weinen nicht.“ Deswegen vermieden sie, ihre seelischen Schmerzen zu zeigen. Wir mussten von Haus zu Haus Besuche machen, Einzelgespräche führen, Seminare und Selbsthilfegruppen abhalten, damit sie ihren Verlust wahr- und annehmen konnten. Gleichzeitig mussten sie sich ihrer Stärken bewusst werden, um die Herausforderung des Weiterlebens anzunehmen. Wir arbeiteten auch mit Multiplikatoren aus der Gemeinde, die vorrangig im Gesundheitswesen eingesetzt waren, da-mit weiterhin ein Rückhalt in der Gemeinde verbleibt, wenn wir wieder weg sind.
In den Seminaren arbeiteten wir in Gruppen, getrennt nach Frauen, Kindern und Männern. Nachdem sie einmal erzählen konnten, was sie erlebt hatten, war es, als ob sich eine Tür für sie öffnen würde: sie äußerten ihre Gefühle und ihre Betroffenheit. Die Teilnahme war freiwillig. Diejenigen, die die Kraft besaßen und den Wunsch hatten, ihre Geschichte in der Gruppe zu erzählen, machten es. Wir ermöglichten ihnen auch so lange Einzelbetreuung, bis sie über ihre schrecklichen Erlebnisse sprechen konnten und sich besser fühlten. Zuletzt erhielten wir von vielen ihre Erlebnisberichte und viele heilten dadurch ihre Schmerzen. …“
Erwachsenenbildung (s. S. 26)
Ohne Bildung kommt man nicht voran
Nachdem die Häuser fertig waren, wurde über die Gründung einer Produktionsgenossenschaft nachgedacht; hierbei fand medico heraus, dass 65 % der Einwohner Analphabeten waren. Dies war ein großes Hindernis, denn ohne lesen und schreiben zu können, kann man auch nichts überprüfen und verwalten. Die Macht war in den Händen von einigen wenigen, die mehr Wissen hatten, und so begannen Verdächtigungen und in den Versammlungen gab es viele Streitigkeiten…..
Um echte Partner zu sein, war es notwendig, dass alle lesen und schreiben konnten und die Grundrechenarten beherrschten, damit sie sich informieren, die Informationen verstehen, nachfragen und an den Versammlungen kritisch teilnehmen konnten.
Die Gemeindeorganisation und medico entschieden, einen 3-jährigen Prozess der Erwachsenenbildung zu beginnen, damit alle den Bildungsstand der Grundstufe erlangen konnten.
Von Anfang an hat sich medico bei diesem Ziel mit dem Bildungsministerium in Chinandega abgestimmt, um die Lernmittel des Alphabetisierungs- und Erwachsenenbildungsprogramms zu erhalten. Aber als die Menschen von El Tanque (Tanqueros) beginnen sollten, sich für die Lernkurse einzuschreiben, zogen sie sich zurück, weil die Themen und die Art und Weise sie anzugehen, sie nicht ansprachen.
Marta Elena Mercado, Psychologin bei MEC, die an diesem Prozess teilnahm, erklärte, wie man die Schwierigkeit bewältigte:
„Bildung – ausgerichtet an der Wirklichkeit und der Notwendigkeit: In Zusammenarbeit mit medico erkannten wir die Notwendigkeit, eine mehr handlungsbezogene Methode, mehr Praxisbezug und insgesamt mehr eigene Beteiligung vorzusehen, wie dies Paulo Freire empfiehlt. (Anmerkung: Paulo Freire (1921 bis 1997) war ein in Theorie und Praxis einflussreicher brasilianischer Pädagoge und Autor, dessen Gedankengut weltweit angenommen wird). So organisierten wir 17 Lerngruppen, und wir begannen zu verstehen, welche Themen die Leute interessierten. Sie wollten wissen wie man sät, wie man etwas misst, wie man Handel treibt, wie man sich aus einer schlechten Gemütslage erholt, wie man etwas organisiert für die Menschen usw. Dann erstellten wir einen ganzheitlichen didaktischen Plan, um die Realität und die Bedürfnisse zu berücksichtigen. Zusätzlich sollten sie auch ihr Leben reflektieren, und dies sollte ihnen helfen, sich besser wehren zu können. Das alles geschah ohne die Bücher der Alphabetisierungskampagne.
Der erste didaktische Plan handelte von der Produktion: Messen, Volumen bestimmen, mit Geld umgehen, Entfernungen bestimmen. Ganz konkret: Sich selbst messen, ihre Grundstücke mit Schritten abmessen, die Abstände zwischen den Pflanzen messen. Sie machten praktische Erfahrungen auf dem Feld und Exkursionen. Sie lernten von Grund auf durch eigenes Erleben, und stellten dabei fest, dass man das Gelernte praktisch umsetzen kann, dass die Ausbildung mit ihren Lebensbezügen zusammenhängt und dass es dabei lebendig zugehen kann und Lernen Freude macht. Wir entwarfen 7 Bildungseinheiten über das Leben und über Entwicklung – und die Veränderung war großartig. Sie alle bemerkten, dass man ohne Bildung nicht weiterkommt.“
Die Kooperative (s. S.30)
Aufbau der Kooperative „Leben und Hoffnung“ (Vida y Esperanza – COOPCOVE)
Um die Kontinuität der landwirtschaftlichen Tätigkeiten zu gewährleisten, neue Projekte anzustoßen, eine Kreditvergabe zu ermöglichen und die gemeinsame Vermarktung zu höheren Preisen zu erreichen, gründete man eine Kooperative. Die Tanqueros nannten sie „Vida y Esperanza“ (Leben und Hoffnung).
medico international stellte die Ausbildung der Mitglieder sicher und richtete einen Kreditfonds ein, damit die jährliche Bestellung der Felder fortgesetzt werden konnte.
Evert Chavarria, der Buchhalter der Kooperative, erklärte wie man die Fonds handhabte und wozu sie nützlich waren: „Die ersten vier Jahre, 2000 – 2004, hatten wir Probleme mit der Wiederbeschaffung von Krediten, weil die Leute dachten, dass sie den zur Verfügung gestellten Fonds, der aus Spendenmittel aufgebaut wurde, nicht zurückzahlen müssten. Wir hatten auch Probleme mit den Ernten, deshalb wurde unser Kapital aufgebraucht. Diese Tendenz änderte sich ab 2004. Bis 2007 konnten wir das Kapital wieder ausgleichen, und bis 2008 konnten wir es sogar steigern.
Es ist wahr, der Wechsel von der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit war schwierig für uns, weil wir uns daran gewöhnt hatten, dass uns alles gegeben wurde. Wie haben wir es gemacht? Wir fingen an, das anzuwenden, was wir gelernt hatten. Die Leute verstanden z.B., dass der, der nicht zahlt, auch kein Recht auf einen neuen Kredit hat und spürten, dass sie ohne Finanzierung blieben. Sie begriffen also, dass sie den Kredit zurückzahlen müssen, wenn sie weiter produzieren wollen. Ein weiteres Problem war, dass wir die Mittel hatten, aber nicht wussten, wie wir sie am Besten nutzen konnten. Wir hatten z.B. ein Lagergebäude, doch jeder verkaufte seine Ernte wann er wollte, ohne abzuwarten, bis er höhere Preise erzielen konnte.
Schließlich sagten wir den Erzeugern: Falls sie es wollen, lagern wir ihre Produkte ein, ohne sie mit den Erzeugnissen anderer Produzenten zu vermischen – und unmittelbar stieg ihr Interesse an ihren Krediten. Doch sie können ihre Erzeugnisse auch selber lagern bis die Preise höher sind. Sie können ihren Verkauf selbst bestimmen entsprechend der Qualität ihres Getreides.
Heute gibt die Kooperative Kredite an 83 Mitglieder und wir haben das Anfangskapital wieder erwirtschaftet. Die Kooperative hat 62 Manzanas Grund und Boden dazu erworben und neue landwirtschaftliche Maschinen gekauft (eine Sämaschine, einen Traktor, einen Pflug und einen Mähdrescher). Außerdem säten wir 2008 auf 40 Manzanas Erdnüsse, auf 20 Manzanas Soja, die wir direkt nach El Salvador verkaufen und 7 Manzanas Reis. Dies wird uns eine gute Einnahme sichern. Ich möchte sagen, dass die Kooperative sich übertroffen hat und wir nicht stehen geblieben sind.“ (Anmerkung: Eine Manzana ist eine alte spanische Flächeneinheit und entspricht ungefähr 0,7 Hektar)
Das Leben in El Tanque – 10 Jahre danach (s . S. 38)
„10 Jahre nach der Tragödie ist der Traum Wirklichkeit geworden: Wir sind eine Gemeinschaft und wir kämpfen weiter dafür, dass sie fortdauert …“, sagt Abelardo Mayorga, ehemaliger Präsident der Kooperative.
Heute ist El Tanque eine gefestigte Gemeinde, begrünt mit vielen Bäumen, mit einer Grundversorgung mit Trinkwasser und Elektrizität, mit einer Schule, einem Gesundheitsposten und einem Gemeinschaftshaus. Auch die Infrastruktur und das nötige Kapital, um weiterhin arbeiten zu können und neue wirtschaftliche und rentable Produktion zu betreiben, ist vorhanden.
„Die 10 Jahre haben uns fähig gemacht, in der Produktion und der Organisation voranzukommen. Wir haben angefangen mit Mais und Hirse, und jetzt säen wir Soja, Erdnüsse und Reis, was viel ertragreicher ist. Wir haben begonnen verschiedene Gemüse, Ananas und Kürbisse zu pflanzen…..Früher lebten wir in 5 Gemeinden und heute sind wir nur eine. Wir arbeiten zusam-men …Natürlich war das nur durch die Unterstützung von medico international möglich; sie halfen uns, solange wir weiter kämpften …“
Luisa Laguna, eine der Frauen aus El Tanque sagt: „Auf dem Berg (am Vulkan Casita vor dem Erdrutsch) hatte ich 12 Manzanas Grund und Boden, 30 Tiere und ein schönes Haus. Es fiel mir schwer, wieder auf die Bei-ne zu kommen. Als ich am Anfang hier wohnte, wollte ich nichts. Aber mit Hilfe der Psychologinnen konnte ich mich wieder aufraffen. Wir bekamen auch Hilfe von zwei Agraringenieuren, die uns bei der Diversifizierung unseres Anbaus unterstützten und herausfanden, welches die rentableren Feldfrüchte sind. Dann halfen sie uns bei der Planung der Aussaat. Wir studierten in der Erwachsenenbildung und lernten zu investieren in das, was uns gegeben worden war. Aber das Grundlegende, das wir lernten, ist, dass die Frauen auch Rechte haben…. Heute bin ich hier daheim, und mit einem Kredit habe ich 30 Manzanas Land gekauft, vor allem für meine Kinder und meine Kuhherde. Heute ist El Tanque die beste Gemeinde in der Umgebung und wir haben bei niemandem Schulden.“